Frankreich-Austausch

Vor eineinhalb Jahren hatte ich von meiner damaligen Französischlehrerin Frau Caton zum ersten Mal vom sogenannten Brigitte Sauzay Programm gehört, dass Schüleraustausche mit Frankreich organisiert. Ich war schon immer sehr sprachbegeistert und neugierig als auch wissbegierig, jedoch erschienen mir 6 Monate, 3 in Frankreich bei einer Gastfamilie und 3 in Deutschland, zu lange und ich war noch nicht bereit mich dieser Herausforderung zu stellen. Im nächsten halben Jahr wurde ich mir jedoch immer mehr über meine Zukunftswünsche bewusst, auch durch Berufserfahrung in der Stadtverwaltung die meine Selbstständigkeit weiter festigten. Gleichzeitig wuchs meine Leidenschaft zu der französischen Sprache und mir wurde klar, dass sie mir einen weiteren Teil der Welt öffnet, sowohl kulturell als auch politisch und sozial. Das alles bewegte mich vor einem Jahr dann doch dazu auf der Seite eine Anzeige über mich aufzugeben, mich nach Austauschpartnern umzusehen und weiter zu informieren und beraten zu lassen. Dabei war mir besonders wichtig, dass die Reise mit dem Auto zu schaffen ist um die Freiheit zu haben mehrere Gepäckstücke mitzunehmen und doch noch etwas näher an meiner Heimat zu bleiben. Als ich dann Amelie kennenlernte, die genauso wie ich neue Erfahrungen machen und sich selbst als Mensch weiterentwickeln wollte, war spätestens nach dem ersten Treffen in Belgien klar, dass sowohl wir als auch unsere Eltern zuversichtlich waren, wir könnten in die Hände der anderen Familie gegeben werden. Und das war der Beginn einer neuen Verbindung „franco-allemand“!

Im Januar dieses Jahres, reiste meine Austauschschülerin dann an und die ersten Wochen nutzten wir dazu uns kennenzulernen und die Region zu erkunden: das erste Frühstück bei Büsch, die Velberter Innenstadt samt ZOB und Treppendöner, das interaktive Museum Phänomania auf dem Gelände der Zeche Zollverein, den LUMAGICA Lichtpark in Hattingen, das Museum Folkwang in Essen, die Eislaufhalle in Ratingen, das Neanderthal Museum in Mettmann und die Schwebebahn sowie den Zoo in Wuppertal. Anfang des Jahres schneite es ja sogar, in einer Menge die Amelie gar nicht kannte und wir verbrachten demnach viel Zeit draußen mit Schlittenfahren und Schneeballschlachten (selbstverständlich rein gefiltert, ohne Steine, die uns verletzen könnten;). Natürlich war die Kommunikation anfangs noch sehr brüchig und es war ungewohnt sich mit einer neuen Person den Alltag zu teilen, aber diese Aufregung lenkte wenigstens vom Heimweh ab, genauso wie die Vorbereitung auf das DELF Sprachzertifikat A2 im Februar, dass wir mit französischer Unterstützung alle bestanden. In den darauffolgenden Monaten machte auch Amelie immer weitere Fortschritte in der Sprache, lernte die Klasse besser kennen und beteiligte sich nach einem freundlichen Empfang seitens der Lehrkräfte eifrig am Unterrichtsgeschehen. Das Daltonsystem war sehr hilfreich, um entscheiden zu können, inwiefern sie die geplanten Aufgaben mitbearbeitet oder den Schulstoff ihrer Heimatschule nachholt, um nicht zu viel zu verpassen und schließlich konnten wir sogar an der Auszeichnung dieses Konzepts an das NEG teilhaben. Außerdem entdeckten wir unsere gemeinsame Liebe für die Natur und das Essen, wobei mit Vertrauen alles angenommen wurde was wir auf den Tisch stellten-besonders die in Frankreich berüchtigte deutsche Currywurst. 2 weitere Ausflüge gingen dann nach Hamburg und Köln und zu guter Letzt erlebten wir die Motto-woche und Abi-feier des Abschlussjahrgangs mit.

Ende März nahm die Zeit in Deutschland ihr Ende und es wurde getauscht-Abschied und Wiedervereinigung zugleich. Ich war aufgeregt und gespannt, jedoch auch froh bereits eine gute Freundin, fast eine Schwester, an meiner Seite zu haben, um mich nicht ganz alleine in der neuen Umgebung und Familie zu fühlen. Durch den Sprachwechsel hatte unsere Kommunikation fast wieder von 0 angefangen, was mich jedoch nicht daran hinderte mich wie in einem zweitem zuhause zu fühlen, mit all der Freundlichkeit und Gastfreundschaft: der Bruder zog temporär ins Ankleidezimmer damit ich in derselben Etage wie die anderen Mädchen bin, ich wurde täglich gefragt ob ich irgendetwas was brauche (Mamas halt), konnte auch immer auf die Einkaufsliste schreiben oder mit einkaufen gehen und mir wurde alles mit Geduld und Ruhe erklärt bis ich es verstand. Nach nur einem Tag zuhause stand der erste Schultag an und trotz Vorbereitung auf jegliche Abkürzungen und verschluckte Buchstaben verstand ich zunächst nichts, außer „Salut“ und „ca va“. Doch auch die Schüler und Lehrer waren außerordentlich offen und begannen häufig Gespräche mit mir, weshalb ich schnell Fortschritte im Verstehen machte und das Sprechen immer weniger dem einheitlichen Schulfranzösisch glich. Hinzu kam die Länge des Schultages bis zu 9 Stunden, also 8-17:30 Uhr, was mir definitiv zu schaffen machte und ich mich trotz aller Bemühungen nicht nur einmal mitten in der Stunde, die übrigens 55 Minuten lang dauert, im Halbschlaf wiederfand. Außer in der Doppelstunde Geschichte, wessen Lehrerin auf Grund ihrer Diktate unter dem Namen Eminem bekannt ist, versuchte ich wenigstens das Unterrichtsprinzip der Fächer zu verstehen. Zuerst einmal besteht noch G8 und man fängt ein Jahr früher an, weshalb Amelie gerade sozusagen schon im ersten Vorbereitungsjahr auf das Abitur ist. Deshalb nimmt man neben den Pflichtfächern an gewählten Kursen teil, in ihrem Fall Geschichte, Ekonomie/Soziologie und englische Literatur sowie 1-2 weitere Sprachen, darunter Deutsch, Spanisch, Niederländisch, Griechisch und Latein. Außerdem gibt es auch „lycees“ die sich eher auf die Praxis konzentrieren, hier im Norden wäre das zum Beispiel die Landwirtschaft, bei welchem Bildungsgang man neben der Theorie auch auf einem Bauernhof arbeitet. Besonders viel Freude machte es mir das griechische Alphabet zu lernen, ein englisches Musikquiz im Rahmen des Themas „generation gap“ zu erstellen, auf Englisch über alte Opernhäuser zu reden und mich natürlich in Deutsch vorzustellen und etwas über unsere Traditionen zu erzählen, doch mich als Muttersprachler auch damit zu beschäftigen wann wir welchen Artikel in seinem jeweiligen Kasus verwenden. In manchen Fächern und auch während Tests, die täglich geschrieben wurden, nutzte ich die Zeit dennoch eher um die Unterrichtsinhalte aus Deutschland zu sichten, mein künstlerisches Talent auf den Arbeitsblättern zu erweitern und zu lesen. Nach der Schule spazierte ich oft, da die flache Anbaulandschaft des eher dörflichen Norden Frankreichs, in dem man die einzelnen Städte anhand von Kirchturmspitzen erkennt, mit ihrem Weitblick viel Platz für Inspiration und Entspannung schuf. Für diese Lage und ein Haus mit großem Garten nehmen viele Einwohner einen langen Weg zur Schule und Arbeit auf sich. Um aber auch davon profitieren zu können und nach dem langen Tag nicht nur Hausaufgaben und Haushalt, Essen um 20 Uhr und danach den Fernseher zu sehen, gibt es auch den Mittwoch mit 4-5 Stunden Schule, viele Freistunden und Ferien, bei uns zum Beispiel fast die Hälfte der Wochen in denen ich hier war und bald 2 Monate Sommerferien. Während dieser freien Zeit lernte ich auf Geburtstagen und anderen Feiern Amelies Großfamilie kennen und in direktem Zusammenhang die französische Küche. Der größte Unterschied ist wohl die Aufteilung der Gänge und das „apero“ um den Appetit anzuregen, mit Getränken wie Saft, Wein oder Kräuter-Sirup und Chips, Wurstspezialitäten, Erdnüssen, eingelegten Pilzen, Oliven und Käse. Darauf folgt je nach Anlass die Vorspeise, der Hauptgang, danach verschiedene Sorten Käse mit Brot und Butter und das Dessert, was nach jeder Mahlzeit gegessen wird, zuhause oft Jogurt oder Früchte. Während ich dem vorurteilbehafteten französischen Baguette zuhause nicht sehr häufig begegnete, war es belegt mit Käse und Schinken als Fast-Food jedoch üblicher, genauso wie Pommes in riesigen Mengen und viele Kartoffelspeisen, mit welchen unter anderem Pizzas belegt werden. Als Abwechslung zu diesen herzhaften Speisen isst man das Frühstück und „gouter“ um 17 Uhr eher süß, z.B. Schokoladenaufstrich- oder Marmeladenbrot, Müsli, Milch, Fruchtmus oder Kekse.

Darüber hinaus lernte ich auch weitere Kultur kennen, wie die „bisous“ auf die Wange bei der Begrüßung, die typischen Wahrzeichen der Region „Flandres“ wie die Windräder, römischen Straßen, treppenförmigen Fassaden an der Seite von Häusern und der Löwe auf der Flagge sowie die Feierlichkeiten der Riesen, also 3-4 Meter große Figuren, die sich mit Musik und Tanz durch die Straßen bewegen. Besucht haben wir einige Nachbarstädte von Saint-Silvestre wie Cassel, Hazebrouck, Dunkerque(Dünkirchen) und auch etwas weiter gelegene wie Paris und einige in der Normandie. Bei den Zugreisen entdeckte ich dann noch die respektvolle Geste sich auf der Rolltreppe alle auf eine Seite zu stellen falls jemand eilig vorbei muss. Eine deutsche Bekanntschaft durfte ich auch machen, da meine Gastfamilie Verbindungen zu einer anderen Familie hatte, wessen Austauschpartnerin für einige Tage zu Besuch war. Zum Ende hin waren mir einige Freunde von Amelie wirklich ans Herz gewachsen, nicht zuletzt aufgrund meiner eindeutig verbesserten Kommunikationsfähigkeiten, auch was den nordischen Akzent angeht. Da die Intensität des Unterrichtes nach der Notenvergabe nachließ, spielten wir „petit bac“-Stadt Land Fluss, „lou-garou“-Werwolf und „action ou verite“-Wahrheit oder Pflicht. Ohne Hausaufgaben und Klausuren tat sich auch mehr Freizeit auf, was besonders bei den vielen Geburtstagen Feiern hieß, meist in alten Hallen von Bauernhöfen. Dort wurde mir der echte französische Rap nah gebracht und weitere allerdings digitale Spiele wie Insight und photo roulette. Leider wurde der Unterricht am letzten Tag, aufgrund von Abi-Streichen abgesagt und ich, sowie Amelie und ihre Klasse hatten keinen gebührenden Abschied, da die 12 Parallelklassen im lycee jedes Jahr neu gemischt werden. Dafür konnten wir dann doch noch einige Sonnentage genießen und Pool, Trampolin und Liegen ausnutzen. In meiner letzten Woche machte ich noch ein kleines Praktikum in einer Grundschule, wo ich ein deutsches Buch vorlas, den Schülern das Lied „Bruder Jakob“ beibrachte und versuchte mit meinem bisherigen Sprachwissen Grammatik-und Rechtschreibfragen zu beantworten. Die Kinder zu verstehen war teils eine Herausforderung doch auch dort waren Schüler sowie Lehrkräfte sehr offen, verständnisvoll und geduldig.

Gleichzeitig arbeiteten Amelie und ich fleißig an unserem Fotobuch und unterhielten uns Nächte lang bis zu den letzten gemeinsamen Stunden die wir an meinem Abfahrtstag noch hatten. Am meisten wurde mir dabei bewusst was für eine unglaubliche Beziehung da entstanden war und wie viel Lebenswillen und Hoffnung mir dadurch gegeben wurde. Ich bin sehr glücklich und überwältigt, diesen Traum umgesetzt zu haben und einige der besten Erinnerungen meines Lebens sowie mehr Selbstvertrauen und Eigenständigkeit mit mir tragen zu können. Tiefe Dankbarkeit empfinde ich gegenüber jenen die mir dies ermöglicht haben, meiner Familie für ihre grenzenlose Unterstützung und Liebe , den zuständigen Lehrern für ihr Engagement, meiner französischen Familie für ihre Wärme und Bemühtheit, der französischen Gesellschaft für ihre Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit und zuletzt Amelie dafür dass sie mir ihre ehrlichste Persönlichkeit offenbarte, ein Teil ihrer Entwicklung mit mir teilte und mit ihrer bedingungslosen Freundschaft trotz Höhen und Tiefen auch einen beachtlichen Teil meines Lebens begleitete und prägte.